Auferstehung der Kultur, Teil 1
Die Kunst- und Kulturszene kämpfte vor Jahren besonders dramatisch gegen ihren Untergang durch die Lockdown-Politik und heute immer noch mit deren Folgen. Weder Trotz, Bitternis noch Wehleidigkeit konnten die schneidenden Entwicklungen aufhalten oder mildern. Vielmehr zeigte sich im Niedergang einer Kulturlandschaft, inwieweit manche Kunstschaffenden sich selbst bereits vom Schöpfungsprozess getrennt hatten. Anderen hingegen brachte es neue Impulse, sich auf flexible Weise mit der „Kunst (gut) weiterzuleben“ zu verbinden.
Der Weckruf zur Lebenskunst
Eine materialistische Sichtweise verkennt das kostbare Wesen der Kunst: denn alles ist Kunst, das Leben ist ein einziger Ablauf ineinanderfließender Schöpfungsprozesse. Die Gegebenheiten rufen danach, auch die Kunst des Lebens neu zu erlernen. Kreativität sollte nicht auf die Schaffung von Kunstwerken reduziert werden, sondern in allen Lebensbereichen zur Anwendung kommen. Dies würde uns nicht nur dazu verhelfen, Krisen zu überwinden, sondern uns auch wieder auf den Weg zu begeben — heraus aus der Tiefkultur in eine neue Hochkultur.
Wer es religiös betrachten möchte, dem würde ich sagen: Christus letzte Botschaft ist nicht seine Kreuzigung, sondern seine Auferstehung. Diesen Geist vernehme ich als eine Art Weckruf.
Kunst ist viel mehr als nur Unterhaltung — sie ist Ausdruck einer Lebensphilosophie und Schöpferkraft, die uns alle wieder beseelen sollte.
Kunst als Kraft in Krisen
Der Kulturbegriff beschränkt sich für mich nicht auf das, was in Theatergebäuden, Museen oder in Ausstellungsräumen präsentiert wird. Es geht vielmehr um die Kultur, die unser gesamtes Leben als Menschen miteinschließt, wie beispielsweise unseren Umgang mit Sprache, Gesundheit, Bildung, den Umgang miteinander und die Pflege von Werten.
Das Aufstehen in meinem Sinn bezieht sich auf das „Sichtbar-Werden“ sowie darauf, als Kulturschaffender, als Mensch mit kreativer Schaffenskraft, vor allem ein neues Bewusstsein für die Möglichkeiten zu entwickeln, Kunst und Kultur am Leben zu erhalten. Ich habe den starken Glauben und die Zuversicht, dass die Kultur sich selbst aus eigener Kraft helfen kann. Der abwartenden, verbitterten oder gar resignierten Haltung möchte ich etwas Positives entgegenstellen, da Kunst durchaus die Kraft in sich trägt, Krisen zu meistern.
Das Werk von Menschen
Kunst und Kultur wurden – nicht erst in unserer Epoche – zu etwas zusammengeschrumpft, das wie „Brot und Spiele“ zwar ein gewisses Level an Kultiviertheit aufrechterhalten soll, das jedoch das Wesenhafte der ursprünglichen Schaffenskraft zugleich entwertet. Nur Wenigen wurde, wird die Anerkennung und damit auch ein wirtschaftlich sicherer Platz mit seinen Werken zuteil. Viele davon wurden selbst wieder zu Erfüllungsgehilfen der Massen und verloren über die Maschinerie von Ruhm und Geld ihre einstige schöpferische Anbindung. Viele Künstler sind mit der ihnen vom System zugestandenen Relevanz genau davon abhängig geworden. Die fatalen Folgen werden immer sichtbarer…
Das Wesen von Kunst
Die Kunst, ein gutes Leben zu führen, macht jeden von uns zu Künstlern — zu Lebenskünstlern. Kunst sollte nicht mehr nur auf ein Kunstwerk bezogen bleiben, sondern als ein lebensimmanenter Zugang zur Schöpferkraft, besonders in schwierigen Zeiten, ganz bewusst genutzt werden.
Eine persönliche Geschichte kam mir neulich sehr bildhaft in Erinnerung: Damals war ich Schülerin im Konservatorium in Wiesbaden. In der Meisterklasse unterrichtete mich ein wunderbarer, älterer Lehrer, sein Name Kurt Gerecke. Er vermittelte mir die Technik „vom Streicheln der Tasten“ und wie er dazu gekommen war.
In der Nachkriegszeit konnte er nicht gleich wieder als Klavierlehrer arbeiten, stattdessen trug er Post aus, um zu überleben. Er hauste in einem unbeheizten Dachkämmerchen. In diesem Kämmerchen gab es einen kleinen Holztisch, auf den er mit Kreide ein paar Klaviertasten aufmalte, um „Klavier zu spielen“. Er hörte die Töne in sich, er fühlte die Tasten in sich, weil er mit allem weiterhin verbunden war. Heute wissen wir aus diversen medizinischen Forschungen, dass unser Gehirn keinen Unterschied macht, ob wir tatsächlich Tasten berühren oder uns dies, möglichst intensiv und „real“ vorstellen. Es war die zeitlose Anbindung an das künstlerische Erleben und alles, was er, ganz individuell damit verband, was mit ihm diese widrigen Umstände überdauerte — das ist, was das Wesen von Kunst ausmacht.
Kultur – Vision
Jeder von uns hat (unter gesunden Bedingungen) ein differenziertes Wahrnehmungsvermögen mit in sein Leben mitbekommen, ist mit feinen Antennen nach innen und nach außen ausgestattet – gratis. Das befähigt uns potenziell, unterscheiden und eine Wahl treffen zu können, wer bzw. was gut für uns ist oder nicht. Durch verschiedene Einflüsse geben wir diesen Wahrnehmungsreichtum auf, wodurch wir umso leichter durch andere gelenkt werden können. Der Einfluss von außen gewinnt an Macht und zwar in dem Maß, wie wir die innere Anbindung zu uns selbst verflachen lassen. In all ihren variantenreichen Zugängen hält Kunst den Draht zu uns selbst offen, zur Befreiung all dessen, was in uns gebunden, vielleicht auch abgeschoben wurde oder unaussprechlich geworden ist.
Welche Kultur würde wohl entstehen, wenn seine Gesellschaft aus Menschen bestünde, die dank ihres wachen Wahrnehmungsvermögens mit jener Schöpferkraft vernetzt blieben?