Auferstehung der Kultur, Teil 2

Je mehr die Welt der reinen Funktionalität unseren Alltag prägt, desto mehr betrachten wir auch unsere Mitmenschen mit diesen Augen: Erfüllt dieser nicht mehr seinen „Zweck“, erweist er sich nicht mehr als der „richtige“ Partner oder Kollege, wird er als Freund oder Mitarbeiter unbequem, so mustern wir ihn, wie ein x-beliebiges Objekt aus.

Weniger Außenschau = mehr Innenschau

Wir beschäftigen uns mit dem Anderssein, wenn überhaupt, in Bezug auf einen Nutzen, viel zu wenig allerdings in der Tiefe, weil dies bedeutet, dass wir uns in diese Betrachtung miteinbeziehen, uns vorrangig selbst mit reflektieren müssen. Sich mit sich selbst zu beschäftigen führt vermeintlich „zu nichts“, wohingegen das Umfeld und Andere zu analysieren zum persönlichen Werterhalt, oder sogar zu dessen Steigerung, beitragen sollen. Das sind hartnäckige Haltungen, in denen sich die Gesellschaft nahezu entwicklungslos treiben lässt. Das Kultur-Gut wurde an die schier endlose Leine schnelllebiger Trends sowie industrieller Interessen gelegt und damit dem inflationären Wandel von Sprache, echten Mitteilungen, substanziellen Inhalten überlassen. Influencer, Followerquoten und Auffindbarkeiten im digitalen Raum sind zu den neuen Luftwurzeln unserer Kultur geworden.
Luftwurzelnde Pflanzen haben naturgegeben bereits mehr substanzielle Bedeutung als die Millionen „Posts“, deren Inhalte größtenteils verstörend sinnentleert sind.

Lebenskünstler werden

Bei einer Veranstaltung hörte ich jemanden diese Äußerung machen:
„Häufig, wenn ich berühmte Persönlichkeiten treffe, stelle ich fest, dass diese in ihrem persönlichen Auftreten gar nicht sie selber, sie nicht bei sich sind, sie verstecken sich hinter einer Maske der Professionalität …“
Ich ergänzte diesen Gedanken im Vorbeigehen: „… und ich glaube, dass einige Künstler, vor allem diejenigen mit einem hohen öffentlichen Status, insgeheim darunter leiden.“ Kunst und Kultur wurde zu etwas gemacht, was mit Perfektionismus und einer ständigen Produktivität verbunden ist.
Das geht mittlerweile so weit, dass manche Musiker sich von einem Spotify-Algorithmus vorschreiben lassen, wie sie ihre Lieder komponieren, damit sie eine möglichst breite Masse erreichen. Bereits der Schöpfungsprozess wird auf diese Weise in das Diktat der Funktionalität hineingezerrt, was ihn in seiner natürlichen Entfaltung manipuliert und, um es sehr scharf zu formulieren, das ureigene Wesen von Kunst abtötet.
Der Künstler tritt hinter die Wünsche der Agenten, des Publikums, der Erfolgsprognosen zurück. Es geht immer weniger um seine Gabe, als um das Geld, welches mit ihm generiert werden soll. Ich glaube, dass es schon lange nicht mehr um die tatsächliche Berührung durch künstlerische Werke oder das Bewahren kultureller Wertigkeiten geht, sondern dass auch darin eine Verflachung und Steuerung eingesetzt hat — leider mit historischen Vorbildern, wie „Brot und Spiele“.

Lebensmut durch Schöpfungskraft

Sich zeitweilig an „Helden“ zu orientieren, gehört vermutlich zu unserem lebenslänglichen Entwicklungsprozess. Doch es kommt die Zeit, da wir selbst ebenfalls aufgerufen sind, in Umsetzung des Gelernten vorbildlich voranzuschreiten.
Vielleicht führt eine Enttäuschung im Zusammenhang mit unserer bisherigen Leitfigur zu einem Weckruf, weniger Andere zu erhöhen, vielmehr die eigenen Kräfte und Kompetenzen zu entdecken: „Wenn nur andere dazu berufen sind, Heldentaten zu vollbringen — was sagt das dann über mich aus? Habe ich dann das Gefühl, dass ich zu wenig Macht habe, mein Einfluss nicht ausreichend genug ist, dass ich meine eigenen Handlungsmöglichkeiten geringschätze?“

Aus dieser Denkweise kommen wir konstruktiv heraus, wenn wir die Geringschätzung unserer Authentizität gegenüber überwindet. Eine gesunde Selbstwertschätzung zensiert nicht, sondern sie ermuntert unter allen Umständen das Beste von sich zu geben. Im guten Kontakt mit uns selbst, wissen wir, wann wir uns von entmenschlichendem Erfolgskalkül und wirtschaftlichen Verführungen (etwas mehr) lösen müssen. Diese Form bewusster Selbstliebe hält uns auf dem Pfad von Vertrauen und Selbstverbundenheit und bewegt sich im steten Abgleich von Innen und Außen. Sie würde sagen: „Du bist es dir selbst wert, dass Beste von dir zu geben. Du hast die Kraft, es selbst tun, denn das Schöne, Kraftvolle wohnt auch in dir. Es wird Menschen geben, die sich dafür bedanken und dir die Wertschätzung entgegenbringen, die du verdienst – wann und wie auch immer.“

Das bedeutet, dass wir die Kultur wieder in jeden Winkel unseres gesellschaftlichen Lebens hineintragen (zurücktragen) müssen. Gerade der Rausch des Digitalen benötigt ein gesundes Gegengewicht, weshalb wir unsere Kultur sowohl in ihrer ursprünglichen fundamentalen Form, als auch in einem umfassenden Verständnis wieder zum Leben erwecken sollten.

Wohltuende Leere – lebendige Stille

Wir haben unsere Kreativität an viele Vergnügungen verloren, die allesamt unser Potenzial betäuben. Dem kreativen Schaffen geht bei mir immer ein gewisser Schaffensdruck voraus. Ich spüre, dass da etwas raus muss. Das funktioniert nicht, wenn von diesem Druck, etwas selbst zu kreieren ständig abgelenkt wird. Dadurch spürt der Mensch seine Kreativität nicht mehr. Es gibt keinen Raum für die innere Leere, aus der die Kreativität geschöpft wird, stattdessen wird der Mensch ausgehöhlt. Wirkliche Leere, eine lebendige Stille können viele Menschen gar nicht mehr aushalten. Sie wird als bedrängend empfunden. Dabei kommt aus ihr alles, wonach wir im Karussell der Vergnügungen suchen: tiefe Erfüllung an dem, was wir sind und tun.
Das bedeutet ganz pragmatisch, sich von der derzeit so viel angepriesenen Digitalisierung zu emanzipieren, dergestalt, dass die Nutzung digitaler Endgeräte auf bestimmte, festgesetzte Zeiten reduziert wird. Nach der „Entmüllung“ von Irrelevantem und der Freilegung von Wesentlichem, werden mit der Zeit jene Momente der Muse zurückkehren und vor allem unsere Seele wachküssen…

Lebensführungskompetenz

Wir bringen die Bedeutung von bewusstem Müßiggang, gerade in unserer schnelllebigen Zeit, viel zu sehr mit oberflächlicher Zerstreuung in Verbindung. Das ist etwas komplett anderes. Welcher Umstand uns dabei helfen mag, zu erkennen, woran wir unsere Zeit entweder verlieren, mit was wir sie automatisch befüllen oder wie kostbar sie unsere Entscheidungen werden lässt, wir haben nicht nur die Freiheit, vielmehr die Verantwortung für die Folgen unserer Wahl.
Nicht die Angebote sollten daher unsere Prioritäten steuern, sondern unsere „Lebensführungskompetenz“.
Das Leben, die Lebensintelligenz, unterstützt uns auf diesem Weg, unser eigenes Wohlbefinden zu stärken, es entspricht unserer Natur als menschliche Wesen, lebendig und kreativ, gestaltend zu sein. Die Natur ist in sich kreativ, findet immer einen Weg inmitten schlimmster Umstände und scheinbar lebensfeindlicher Bedingungen. Wer schon mal auf eine Vulkaninsel, wie beispielsweise Lanzarote war, kann diese Kräfte nur bestaunen.

Das Lebensfeindlichste ist wohl der Mensch selbst, vor allem in Hochzeiten seiner narzisstischen Gesinnung. Ich vertraue dem Leben, welches aus allem etwas erschaffen kann — daher fühle ich mich dem Begriff „Lebenskunst“ auch so verbunden! Jeder von uns ist in diesem Sinne ein Künstler. Wir dürfen Kunst nicht länger als etwas begreifen, was ausschließlich mit „Können“ zu tun hat. Das Leben, die Lebenskunst IST! Sie ist ein konkreter Weg, die allgegenwärtige Macht und Magie des Seins in unserem Alltag einfließen und wirken zu lassen. An diesen unmittelbaren Fluss müssen wir uns wieder anschließen, egal wie namhaft wir als Künstler sind oder für wie kompetent wir uns hierin halten.

Schöpferkraft für alle

Wir sollten wir wieder zu jenem Zustand zurückfinden, der uns freigibt, dass wir uns wieder an dem Unmittelbaren freuen können. So wie ein Kind, das mit Farbe einen Klecks malt, darin aufgeht und sich daran freut sich in dem Moment.
Wenn ich in dem Schöpfungsprozess bin — egal ob ich ein Theaterstück schreibe oder auf der Bühne stehe — bin ich eins: Ich bin eins mit meiner menschlichen Natur und mit meiner spirituellen Anbindung. All das, die Musik, die Ideen, die Texte, das kommt zu, nicht von mir. Mein Name ist eine Kennzeichnung, vor allem von meiner Verbindung mit dem großen Ganzen, aus dem ich schöpfe und dem zusammen ich das Werk kreiert habe. Wenn wir in diesen kreativen Prozess des Wirkens, des Erschaffens kommen, dann befinden wir uns in einem besonderen Feld von Energien. Unser Eintauchen darin öffnet den Raum für Kohärenz und damit für Heilungsgeschehen, dies können wir zum Teil ganz unmittelbar erleben. Es ist ein großes Geschenk der Kunst, Kultur und Kreativität an uns, vor allem in herausfordernden Zeiten, weshalb ich sage, mit der Kunst, Kultur und Kreativität werden uns Kräfte gereicht, mit denen wir uns wie Phönix aus der Asche erheben können.