... IST DAS LEUCHFEUER IN UNSEREN HERZEN

„Vertraue Dir doch!“, wie schnell huschen uns diese Worte über die Lippen, wenn wir versuchen einen uns nahestehenden Menschen aufzubauen. Oft spüren wir, dass unsere Worte zwar dankbar aufgenommen werden, doch zugleich durch ein unsichtbares Sieb hindurchsickern. Wir können als Außenstehende so viel an Zuversicht nachschenken, es scheint stets zu versiegen. Der Motor des Selbstvertrauens, des Vertrauens in das Leben will einfach nicht anspringen.


Aller Anfang ist schwer

Diese Hilflosigkeit ist nicht schön und hinterlässt bei uns das Gefühl, den Draht zu der Person zu verlieren. Ich habe das auch schon öfters erlebt und es hat mir keine Ruhe gelassen. Weder wollte ich einen Menschen, der mir ans Herz gewachsen ist, unter diesen Umständen sich selbst überlassen, noch untätig bleiben, um ihn wieder zu seinem nährenden Vertrauen zurück zu bringen.
Als Helfer geht man meistens davon aus, dass man es selbst besser weiß, dass es einem zumindest gerade besser geht, als demjenigen, dem man seine Unterstützung anbietet. Doch dem ist nicht immer so. Manches Mal blicken wir in den Spiegel unserer eigenen Unsicherheiten, wenn wir anderen Menschen dabei unterstützen wollen, sich selbst mehr zu vertrauen. Ungerne erinnere ich mich an eigene Situationen, in denen ich strauchelte und positiven Ereignissen kaum anhaltende Zuversicht abgewinnen konnte. Wie war es mir dann doch gelungen, inmitten eines schier undurchdringlichen Wirrwarrs ruhig, besonnen und zunehmend frohgemut voranzuschreiten?

 

Empathie ist die Brücke

Ich erinnere mich immer wieder an all das, was mir bis heute hilft: Mitgefühl für ein großes Bedürfnis nach Anteilnahme, bedingungslose Selbstannahme statt harter Selbstkritik und endlosen Vorwürfen, Wertschätzung alles bisher Erreichten und Hinzugewonnenen, Ein- und Ausatmen bei Beklemmungen, ein inneres Lächeln im Tun möglichst vieler Aufgaben, Dankbarkeit für die gemeisterten Hürden und Unwegsamkeiten, die rückblickend wie beschwingte Sommerspaziergänge wirken. Das gelang nicht immer auf Anhieb, doch der je öfters ich den Weg aus meinem fehlenden Selbstvertrauen bewusst durchwanderte, desto gefestigter wurde mein Gang. Über die Reflektion meiner eigenen Unsicherheiten fand ich nicht nur den Draht zu mir selbst zurück, sondern gewann vor allem den Schlüssel zum Inneren des Freundes. Mir wurde klar, dass kein Appell an das Vertrauen mir oder einem anderen Menschen helfen würden, sondern dass Mitgefühl und die Annahme der Lage, wie sie ist, weitaus mehr bewirken.

Wann können wir mehr Vertrauen erfahren und (dazu)lernen, als in Stunden der Schwäche, des Akzeptierens, dass wir unser Leben gerade als fremd, unsicher und ungemütlich, vielleicht sogar als bedrohlich empfinden? Den persönlichen oder kollektiven Ausnahmezustand zu betrachten schließt Stärke und Mut mit ein. Die Stärke hinzuschauen frei von Verurteilungen und den Mut die Verantwortung für den eigenen Anteil zu übernehmen.

 

Wir lernen ein Leben lang

Eine kaum beachtete Hürde auf unserem Weg des tiefen Vertrauens ist eine partielle, gravierende Abwehrhaltung gegenüber dem Lernen. Mit dem Ende der Ausbildung schrumpft unsere Bereitschaft uns als lebenslänglich Lernende zu betrachten. Wir wollen „fertig, reif, kompetent, erfahren“ sein, damit verbinden wir sowohl unseren beruflichen Marktwert, als auch unsere persönliche Perfektion. Die Jahre des Lernens bilden unseren Werdegang vom Nichtwissen, Nichtkönnen bis zum Wissen und Können ab, auf meist unbewusste Weise werden sie zugleich Ausdruck unserer Annahme, dass Wissen und Können uns zu „fertigen“ Menschen machen. Diese Annahme impliziert, dass Lernen Ausdruck von Mangel, Mangel an Wissen und Können ist. Und Mangel wiederum ist etwas, was wir nicht haben wollen. Zu lernen versucht diese Lücken zu schließen, doch mit dem Verständnis einer etwaigen Unzulänglichkeit bei Nichtwissen oder Nichtkönnen, wird Lernen zu einer zwanghaften Bewertung von „fertig“ und „unfertig“. Wer mag schon „unfertig“ sein? Wer findet sich als solcher liebenswert, wertvoll für die Gemeinschaft in der er arbeitet und lebt?
Warum wir zu einem solchen verbreiteten und unreflektierten Umgang mit dem Wert des Lernen-Dürfens gekommen sind, darüber mag an anderer Stelle nachgesonnen werden. Zusammen mit unserem unnatürlichen Drang des Perfektionismus haben wir die wichtigen Türen, in Sackgassen zu stecken, Fehler zu machen und als Mensch dazuzulernen (beinahe endgültig) geschlossen.
Wir interessieren uns zwar für Vieles und nehmen kostbare Zeit in Anspruch, um aufwendige Aktualisierungen unserer technisierten Welt vorzunehmen, doch unser Inneres taktet immer noch auf einem inzwischen längst überholten Betriebssystem.

 

Vertrauen erwächst aus Unvorhersehbarem

Über die Jahre ist unsere Bereitschaft für Veränderung, für eine Überprüfung unserer Lebensausrichtung in eine Erstarrung geraten. Es bestand keine Notwendigkeit sie zu überprüfen, solange alles scheinbar im Fluss war. Der Wunsch nach Sicherheit sowie nach Zerstreuung ist besonders groß geworden, da wir unser Leben in vielen Bereichen als Hetze, als Zwang und somit als unfrei empfinden, trotz allen Komforts. Unser Streben nach Sicherheit hat zugleich unser natürliches Potenzial des Vertrauens eingefroren, Zerstreuung hat unseren Draht zu uns selbst ausfranzen lassen.
Wer dem Gewohnten folgt und behauptet, er vertraue, der bewegt sich stattdessen in den Sicherheitszonen des bereits Bekannten. Vertrauen in seiner tiefen Dimension erfahren wir erst, wenn etwas Ungeplantes passiert. Und alles Überraschende, was unser Leben herausfordert, bringt Unruhe mit sich. Jede Unruhe löst den Wunsch nach Halt aus. Und genau hier geraten wir in den Nebel. Es sei denn, wir erinnern uns an unser zeitweilig auf Eis gelegtes Potenzial zu vertrauen.
An dieser Stelle müssen wir die alte Haut unseres Perfektionsanspruchs abstreifen, wir haben die Lage nicht immer unter Kontrolle, können nicht alles in alle Ewigkeit überblicken und sind deswegen  kein Mensch, der minder wertvoll oder liebenswert ist. Ganz im Gegenteil. Wenn bei uns oder einer anderen ehrgeizigen Person, jene vermeintlichen Züge der Schwäche, Sätze, wie: „Jetzt weiß auch ich nicht mehr weiter.“ nach außen treten, dann erwärmt sich die ganze Atmosphäre um uns herum. Das eiskalte Kalkül mit dem Leben schmilzt und so mancher mag ausdrücken, was vermutlich alle empfinden, nämlich dass es wieder menschlicher zugeht. „Menschlicher“, das lässt doch den Rückschluss zu, dass genau das Nichtwissen und Nichtkönnen zu uns dazugehören, uns zu Wesen mit Seele und Gefühlen machen und uns Gottseidank immer noch von Maschinen unterscheiden, die fehlerfrei und effektiv takten müssen.

 

Vertrauen ist ein Aspekt
seelischer Potenzialentfaltung

Sich dem Nicht-mehr-weiter-Wissen zu öffnen ist ein Akt der Stärke, hierdurch wachsen Ringe von (Selbst-)Akzeptanz, von Vertrauen in einen weitreichenderen Sinn rund um unser schwächelndes Selbstbild, den Stamm unseres Lebensbaums.
Sich in einer unerwartet oder anhaltend schwierigen Lage zu befinden und nicht weiter zu wissen, öffnet unsere Türen zum Lernen, zur Selbst- und Potenzialentfaltung. Wir sollten es so sehen: Unser bisheriges Wissen und Können haben uns bis hierhergebracht, nun ist ein Upgrade notwendig. Die Aktualisierung vor allem unseres Erfahrungswissens benötigt unsere Offenheit in den Prozess, dem wir uns anzuvertrauen haben. Wir sind deshalb nicht mangelhaft, so wie unser PC auch nicht mangelhaft ist, wenn er ein System-Upgrade aufgespielt bekommt.
Das Leben fragt uns nicht um Erlaubnis, es hat den größeren Überblick über die anstehenden Entwicklungsprozesse. Instinktiv wissen wir um die Bedeutung und Sinnhaftigkeit von Wachstumsstufen, doch es dauert oft viele Jahre bis daraus die von unserem Kopf gebilligte Erkenntnis wird: „Irgendwie habe ich es damals schon gespürt, aber heute verstehe ich erst so richtig, warum es so das Beste für mich war.“ Mit einer solchen Erfahrung festigt sich unser Selbstvertrauen und es schlägt tiefere Wurzeln in Richtung Urvertrauen in das Leben selbst.

 

Vertrauen erweitert unsere Grenzen

Vertrauen ist etwas Dynamisches, Gestaltbares, Ausbaufähiges. Wenn wir eine neue Stufe betreten (oder auf diese geschubst werden), so wird es sich anfühlen, als hätten wir gar kein Vertrauen. Vieles ist fremd, scheint falsch oder zumindest riskant, unser Gedankenkarussell nimmt an Geschwindigkeit zu und innere Unruhe macht es anhaltend schwer, zentriert und ausgerichtet zu bleiben. Wenn wir in diesem Sinn aus uns selbst herauspurzeln, dann empfinden wir zunehmend die Umstände als haltlos und uns als ohnmächtig. Unser Leben wird zu einer Schwimminsel inmitten eines unübersehbaren, bewegten Gewässers. Wir fühlen uns nicht gerüstet für eine solche Unternehmung. Deshalb braucht Vertrauen sehr viel Mut. Vielleicht mögen wir uns Vertrauen wie einen Baum vorstellen, den wir in unseren Seinsgarten miteingepflanzt bekommen haben, den wir lebenslang pflegen und erhalten müssen. Gleich welches Wetter herrscht, wie hart die Jahreszeiten ausfallen, wir kümmern uns zuverlässig um sein Gedeihen und passen unser Zutun nach dessen Bedarf an. Ihn von alten Ästen zu befreien und dafür auf einer wackeligen Leiter zu stehen, ist wahrlich nicht jedermanns Sache. Wenn er dafür aber dem nächsten tosenden Sturm besser standhält, dann dürfen wir uns gerne für unseren Mut loben – und der Weisheit danken, die uns, vermutlich mehr als unser Verstand, dazu ermuntert hat, etwas zu wagen, was wir sonst nie getan hätten.
Nur wenn wir uns etwas zutrauen, wenn wir die Ohren nach innen richten, dem lauschen, was uns vielleicht ängstigt, weil es Ungewöhnliches verkündet, uns zu neuen Ufern ruft, dann festigen wir unser Vertrauen. Dann wächst unser Vertrauen an zwei Enden: in uns selbst und in die Weisungen. Wenn wir es wagen, dem zu folgen, was unser Vertrauen derart herausfordert, dann erweitern wir unsere Grenzen, denn befreien wir uns aus dem Korsett überholter Sicherheiten. Wir begeben uns auf den Freiflug, uns mit dem Ungewissen sicher zu fühlen, im Vertrauen, dass sich alles, auch für unseren Verstand, als sinnvoll erweisen wird.

 

Verbunden mit der höheren Weisheit des Lebens

Einem Adler gleich kreisen wir über jenen Phasen, die uns kaum bewältigbar schienen. Wir sollten unserem bereicherten Erfahrungsschatz den bitteren Beigeschmack nehmen, nur weil wir ihn durch schwere Zeiten gewonnen haben. Die Schwere ist vor allem eine menschliche Interpretation von den Begleiterscheinungen des Wandels und Wachstums. Es ist völlig in Ordnung, diese Empfindungen zu haben, wenn wir durchleuchten, dass sie zu einer Momentaufnahme gehören, wenn wir dem großen Strom vertrauen und den Entwicklungsschritten Raum geben. Wenn wir den Impulsen aus unserem Herzen die Hand reichen, wie schon in so manch vergangenen Situationen und damit erneut das wärmende Leuchtfeuer für unseren weiteren Weg entfachen.
Vertrauen wir auf das, was vor allem in stillen Stunden aus unserem Herzen zu uns spricht. Nicht in der Eile, nicht unter Druck oder Zwang, nicht in der Unruhe und Verwirrung. Vertrauen wir inmitten des tosenden Aufbruchs zu Unbekanntem, Momenten des Nichtstuns, der Auszeit, des Schweigens unserer Worte, des Ruhens unserer Gedanken, der Entleerung allen Wissens, damit das Leben gerade jetzt zu uns sprechen kann.
Wir sind stets geführt, wir haben stets unsere Hände am Knauf jener Türen, die sich öffnen, wenn wir bereit sind zu lernen, zu vertrauen. Nehmen wir den Kontakt wieder zu uns auf, gerade in den Monaten, die eine so offensichtliche Einladung aussprechen, dem Licht und der Wärme unseres Herzens, der damit verbundenen Weisheit wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken. So verbunden und gestärkt werden wir alle zu Leuchtfeuern an dunklen Tagen - auch für viele andere Reisende sein.

 

Originalfassung.

 

HINWEIS:
Dieser Artikel ist zusätzlich erschienen im Magazin "bewusster leben" 6/2020.

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