Ich hatte schon viel früher vor, etwas zu diesem Thema zu schreiben. Da war die Lage dieser Krise noch so, dass wir alle auf das vorläufige Ende des Lockdowns warteten. Nun, da sich die Zustände anhaltend wenig optimiert haben und statt eines befreiten Aufatmens eine Teilvermummung angeordnet wurde, mutet es beinahe zynisch an, über „heilsamen Müßiggang“ nachzudenken.
Erst wollte ich das Thema kippen, austauschen, aber dann kam der Impuls: „Nein, gerade jetzt ist es wichtig, sich gedanklich nicht überschwemmen zu lassen, und das durch die Angst angefeuerte Kopfkino zu keinem Selbstläufer werden zu lassen.“
Neues Weltbild – neues Selbstbild
Ich habe mich im Zusammenhang mit meinem Buch mit den Fragen beschäftigt, ob es Gedanken ohne Gefühle gibt, und inwiefern die beiden zusammenhängen, ohne, dass wir es ständig bemerken? Wie können wir in dem engen Geflecht herausfinden, welcher Stimme wir folgen sollen, gerade in Ausnahmezuständen, wenn alles in uns auf Hochtouren läuft.
Ich fand in verschiedenen Lektüren aus unterschiedlichen medizinischen und wissenschaftlichen Disziplinen einen gemeinsamen Nenner, nämlich den, dass alles miteinander zusammenhängt. Wie es scheint, ist uns durch unsere Spezialisierungsbrillen über die Jahrhunderte der Blick für das Ganzheitliche abhandengekommen und so mag es anmuten, als seien die (wieder) aufgedeckten Zusammenhänge etwas ganz Neues. Durch den Zusammenbruch des mechanistisch-deterministischen Weltbilds, welches von den wissenschaftlichen Entwicklungen überholt wurde, revolutioniert sich auch unser Selbstbild. Es besteht zumindest die Möglichkeit hierfür. Etwas rückt näher in unsere Betrachtungen, was vor allem unseren Anspruch alles logisch begreifen zu wollen an seine Grenze bringt. Wir bewegen uns in einem energetischen Feld von Optionen, unsere Welt ist in ihren kleinsten bislang bekannten Elementen nicht festgelegt. Ich habe mir immer wieder Informationen aus der Quantenmechanik und anderen Wissenschaftsbereichen herangezogen und es lohnt sich, diese Erkenntnisse ernst zu nehmen statt sie durch die vertrauten Annahmen vorschnell zu zensieren. Für mich ging es in den Aussagen vor allem darum, was das in Bezug auf unser menschliches Vermögen bedeutet. Zwar ist uns bekannt, dass wir durch Prägungen und Konditionierungen vieles in unserem Leben meist unbewusst mitsteuern, aber was macht die Vorstellung mit uns, dass wir uns davon lösen können, weil wir es entscheiden, weil es in der Macht unseres Bewusstseins liegt weniger in den scheinbar alles bestimmenden Vererbungen. „Das ist unwahrscheinlich.“ kontert schnell der Verstand. „Das ist kaum zu glauben.“ meldet sich vielleicht ein wenig hoffnungsvoll unser Gefühl zu Wort. „Es ist deine Pflicht, das als freies und selbstbestimmtes Wesen zu überprüfen.“ hatte mir einst meine Intuition dazu geraten.
Lücken finden im Stimmengewirr
Dass ich sie überhaupt wahrnehmen konnte, verdanke ich den Lücken in dem dichten Gewebe meiner alles kontrollieren wollenden Gedanken und meiner in Korrespondenz dazu stehenden mitwallenden Gefühlswelt. Heute stütze ich mich wesentlich auf diese weise Stimme stütze, da ich meine Gedanken und Gefühle auf ihre Ursprünge hin zu durchleuchten vermag. Weil ich gelernt habe, bewusst Abstand zu meinen Gedanken und Gefühlen einzunehmen, gerade wenn sie mich bedrängen, schaue ich mir heute die Umstände genauer an, unter denen es überhaupt erst möglich ist, klar über den Gedanken und Gefühlen zu stehen. Und das meine ich nicht überheblich, sondern im Sinne einer möglichst stillen Betrachtung. Wir alle kennen Aussagen wie diese: „Ich muss erst einmal einen klaren Kopf bekommen.“. Lieber hätten wir manches Mal von einem geselligen Beisammensein einen Rausch, als dass wir feststellen müssen, dass auch andere Umstände, Krisen wie diese, einen Gedanken und Gefühlsrausch auslösen. Die Mediengewalt mit Bildern und Zahlen, Entscheidungen, die den vertrauten Boden der Sicherheit für so viele Menschen binnen kürzester Zeit in einen Morast aus Ungewissheit verwandeln haben: Das sind massive Auslöser für einen kaum stoppbaren Strom negativer Annahmen und lebensbedrohlicher Ängste. Gedanken und Gefühle bilden eine zunehmend verschweißte Einheit, die sich gegenseitig sogar noch weiter pusht. Es geschieht mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit, dass mit einer Information Kaskaden von physikalischen Vorgängen in uns ausgelöst werden, die wir zugleich als Unsicherheit, Angst, Panik, Verzweiflung, Ohnmacht wahrnehmen. Wir stehen gewissermaßen in einem sich immer schneller drehenden Zirkel von Gedanken und Gefühlen, was uns äußerst empfänglich für alle Rettungsringe macht, die man uns zuschmeißt. Es stellt sich in solchen inneren Zuständen nicht mehr die Frage, ob es richtig ist, was wir tun, ob es Sinn macht oder wohin es führt, es ist ein Fluchtreflex „Alles ist besser als das, was gerade ist.“
Saatgut für jeden Menschen
Ich hörte Dr. Bodo Schiffmann in einem Interview anlässlich der Corona-Krise dies berichten, und dabei schöpft er aus seinen Erfahrungen in der Notfallmedizin: Eine der wichtigsten Momente in einer Akutsituation sei Ruhe reinzubringen, keine weitere Panik zu verbreiten, damit sowohl Patient, als auch Arzt und Helfer ihr Bestmöglichstes tun können. Das ist neben den fachlichen Kompetenzen vermutlich die einflussreichste Fähigkeit, welche ein Arzt aufzubringen hat. Diese Fähigkeit ist allerdings nicht an den Beruf eines Arztes gebunden, oder überhaupt an das Erlernen von verstandesmäßigem Wissen. Diese Fähigkeit liegt als Saatgut in jedem Menschen geborgen. Den einen von uns kostet es viel Selbstüberwindung, ruhig zu bleiben, der andere kaschiert mit nahezu phlegmatischer Ruhe seine Unentschlossenheit.
Ruhe begleitet wesentlich die Umstände, in denen es möglich wird, das wirre und sich selbst antreibende Gewirk von Gedanken und Gefühlen zu entwirren. Es ist keinesfalls gewöhnlich und daher leicht herstellbar, in Akutzuständen wie diesen, eben mal Ruhe in sich hineinzubringen. Neben den Ängsten, kommt noch die räumliche Enge hinzu, die ein weiterer, sehr massiver Auslöser von eben jenem negativen Teufelskreislauf aus Gedanken und Gefühlen ist. Und noch mehr: Durch das zeitweilig verhängte Ausgehverbot und die anhaltenden Beschränkungen werden wir in unserem Fluchtreflex gehindert. Wir können den inneren Stress nicht mehr ausreichend (oder gar nicht mehr) durch Bewegung, durch frische Luft, durch eine Fahrt ins Grüne ausgleichen oder abbauen. Wir werden darin überwacht und auf uns selbst zurückgeworfen, ohne die Chance, auf einen vorbereiteten Plan B zurückgreifen zu können.
Mir kommen da gerade Bilder in den Sinn aus Zeiten, da meine Vorfahren auf dem Land über das Jahr hinweg Vorräte für den Winter herbeischaffen mussten, weil sie mit ihren Gütern zwar autark, aber abgeschnitten von einer städtischen Versorgung waren. Gerade im Winter. Wäre damals statt eines ersehnten Frühlings, erneut der Winter im März über sie hereingebrochen für Wochen und Monate, hätten sie vielleicht vorübergehend mit Vorratsresten haushalten können, in jedem Fall mit katastrophalen Auswirkungen für ganze Existenz. Wir können, konnten es in unseren Breitengraden früher noch mehr als heute, mit Reduktion umgehen, mit Einschränkungen und Anpassungen, das war schon immer Teil der natürlichen Entwicklungsgeschichte.
Doch das Diktat von Maßnahmen ohne Bedacht der ganzheitlichen Auswirkungen, ohne den Ausgleich auch für die inneren Kämpfe mitzuliefern, gleicht dem Winter für unsere Seelen, einer Eiszeit für klare Gedanken und hinterlässt eine Wüste im Vertrauen auf bestmögliches Meistern einer kritischen Lage.
Immer wieder: bewusst atmen
Im Wissen um die Vielen, die es nicht so gut haben wie ich, hier auf dem Land, die auf engeren Räumen und in unfreundlichen städtischen Straßenzügen ausharren müssen, die in das eisig kalte Wasser geschmissen wurden, psychisch durchzuhalten, möchte ich dennoch erinnern, dass „selbst in der kleinsten Hütte Platz“ ist – auch für das innere Auskommen. Besonders Heilsames für Hirn und Herz kann hier beigesteuert werden durch langsames Atmen, tiefes bewusstes Ein- und Ausatmen (so wie ich das bereits in meinem Blog zur Angst empfohlen habe). Ich schließe hierbei gerne die Augen und stelle mir vor, wie sich alles um mich herum weitet, wie in mir mehr Platz entsteht, wie ich mit jedem Ausatmen noch mehr Raum zwischen mir und dem, was mich umtreibt, hineinbringe. Das fällt vielleicht nicht von Anfang an leicht, weil wir es nicht gewohnt sind und es fällt ungeübt schon gar nicht leicht, wenn wir Ruhe dringend brauchen. Es ist aber eine Chance, es gerade jetzt zu lernen und im Leben zu etablieren, es grundsätzlich als Ankerpunkt für Achtsamkeit, Gesundheit und Harmonie einzurichten.
Durch die Ruhe stabilisieren wir unseren Umgang mit den herausfordernden Umständen, wir tanken Klarheit und Kraft für Prioritäten und Lösungen. Oft denken wir lange über Auswege nach, haben schlaflose Nächte. Und dann erst in den Lücken unseres Suchens nach Antworten flattern die Lösungen herein. Dafür müssen wir uns immer wieder öffnen und bereit machen.
Geben wir unser Bestes
Ein zu hoher Stresspegel attackiert unsere Gesundheit, schwächt Herz-Kreislauf und unser so wichtiges Immunsystem. Ein zu hoher Stresspegel macht es unmöglich konstruktive Gedanken zu entwickeln oder bedeutsame Impulse aus dem Reich unserer Intuition zu empfangen. Ein durch Angst beeinträchtigtes Gehirn, ebenso wie ein dadurch auf Dauer überfordertes Herz sind keine guten Wegbegleiter durch einen Ausnahmezustand wie diesen. Und da wir nur auf uns selbst zurückgreifen können, wäre es doppelt wichtig, in der inneren Aufruhr Lücken für das Bestmögliche zu schaffen, mit aller Kraft, mit aller Entschlossenheit, mit allem Willen, mit allem Mut und allem guten Glauben.
Dabei hilft es ungemein, sich der Gemeinschaft bewusst zu werden, die es derzeit vielleicht nur im Geiste oder per digitaler Kommunikationswege gibt, oder die sich einem ganz neu eröffnet. Was mich stets aufs Neue motiviert, meinen Beitrag zu leisten, ist, dass ich weiß, wie vielen es so geht wie mir und noch schlimmer. Aus den Lücken meiner Ängste und meines Niedergeschlagenseins kommt beharrlich der Appell des Herzens: Gib Dein Bestes, für Dich, Deinen Körper, Deine Seele, für Deinen Sohn, Dein Umfeld und für alle, die es darüber hinaus sehen, hören oder teilen mögen.
Betrachten wir die Sinnlosigkeit, die über unsere gedanklichen und emotionalen Schatten an uns herangeweht wird, als Münze mit zwei Seiten: Wir können sie wenden und darin einen heilsamen Müßiggang für unseren Kopf und unser Herz betrachten, wenn wir der Enge, den Zwängen, den Ängsten, der Mediengewalt, die uns vor sich hertreiben, mit der Macht unseres Bewusstseins, unserer guten Selbstführung und Besonnenheit die Stirn bieten.
Reichen wir uns im Geist die Hände und helfen einander, wach, mutig und mitfühlend zu bleiben.
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